„Wohn- und Wirkungsstätten großer Komponisten in der Bürgerstadt Leipzig“ - so ähnlich könnte ein Leipziger UNESCO-Antrag lauten. Das ist ein Ergebnis des Workshops, den eine Projektgruppe des Welterbe-Studienganges (World Heritage Studies) der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus gemeinsam mit Vertretern der Universität Leipzig und der Leipziger UNESCO-Initiative am 23./24. Januar durchführte.
Dass die Leipziger Musikgeschichte mit ihren authentischen Erinnerungsorten musikalisches Welterbe ist, war der Ausgangspunkt der von Rainer Manertz und Werner Schneider ins Leben gerufenen UNESCO-Initiative Leipzig. Seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt an der Pleiße zu einer der führenden Musikstädte Europas. Im Barock, unter Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann, hatte Leipzigs Musikleben erstmals weltweite Bedeutung. Nur wenige Fußminuten trennen die mit dem Namen des berühmten Thomaskantors verbundenen Wirkungsstätten (Thomaskirche, Bosehaus und Nikolaikirche) von den originalen Wohn- und Schaffensräumen berühmter Komponisten, die Leipzig im 19. Jahrhundert ein zweites Mal ins Blickfeld des weltweiten Musiklebens rückten. Die private Adresse von Felix Mendelssohn Bartholdy, sowie die Wohnung von Robert und Clara Schumann und das ehemalige Verlagshaus C. F. Peters, in dem Edvard Grieg oft weilte, blieben bis heute erhalten. Das ist einzigartig in Deutschland. Weltweit einmalig ist die örtliche Dichte dieser Originalschauplätze, die durch den erlebnisorientierten Rundweg „Leipziger Notenspur“ miteinander verbunden werden. Die Stadt Leipzig hat deshalb beschlossen, sich mit den authentischen Komponistenorten um Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbeliste zu bemühen.
Um zu untersuchen, wie dieses Anliegen zu den Kriterien der UNESCO passend aufbereitet werden kann, hat sich die Leipziger UNESCO-Initiative Unterstützung bei der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus geholt. Die vom Architekturprofessor Wolfgang Schuster geleitete Projektgruppe aus Cottbus stellte während des Workshops zwei Antragsmöglichkeiten zur Diskussion: die bereits genannte Ausrichtung auf die Komponistenstätten und das Konzept von Kulturlandschaften. In beiden Fällen wird die traditionelle UNESCO-Ausrichtung auf Einzelgebäude oder Gebäudeensembles einer Epoche erweitert.
Neu ist beim Antrag, der die originalen Wohn- und Wirkungsstätten der herausragenden Leipziger Komponisten in den Mittelpunkt stellt, dass die innere Verbindung nicht durch ein fest umrissenes Stadtgebiet einer Epoche gegeben ist, sondern durch Komponisten über Jahrhunderte, die durch die geistige Klammer der von ihnen geschaffenen Musik verbunden sind.
Dieser Zusammenhang führte zur zweiten Überlegung, Leipzig als städtische Kulturlandschaft mit dem besonderen Kulturgut Musik zu betrachten. Das Neue hieran ist, dass bisher vor allem ländliche Gebiete als Kulturlandschaften im Blickpunkt des entsprechenden UNESCO-Programms standen. Bei der Darstellung Leipzigs als städtische Kulturlandschaft könnte der „Nährboden“ der außerordentlichen Musiktradition Leipzigs in seiner charakteristischen Mischung aus Kirche, Universität, Messe, Verlagswesen und bürgerlichem Engagement verdeutlicht werden. Ankerpunkte der Bewerbung wären auch hierbei die authentischen Musikstätten Leipzigs. Die Querverbindungen würden jedoch stärkeres Gewicht bekommen. Agnes aus Cottbus ist sich der Herausforderung dieses Weges bewusst: „Am sinnvollsten, gleichzeitig am problematischsten erscheint mir die Bewerbung Leipzigs als "Kultur-Landschaft", also nicht mit den einzelnen Gebäuden und Denkmälern, sondern mit der Stadtstruktur an sich. Wenn in einem solchen Antrag gut argumentiert wird, kommt er der Realität am nächsten.“
Die ungewöhnliche Musikgeschichte Leipzigs spiegelt sich tatsächlich auch außerhalb der Kirchen und Konzertsäle wider in Gebäuden, Parks, Denkmälern und Kunstwerken. Dies hat die Projektgruppe eindrucksvoll im Museum für bildende Künste erlebt, das über viele von Musik inspirierte Kunstwerke verfügt. Hier kann man eines der weltweit bedeutendsten musikbezogenen Werke der bildenden Kunst bewundern: Max Klingers Beethoven, an dem der Künstler von 1885 bis 1902 arbeitete. Dargestellt ist Beethoven als Musiktitan, zu dem sogar der Adler ehrfürchtig aufschaut. Unzugänglich und unbeirrt zieht er seine Bahn, allein seiner Inspiration vertrauend. Noch nicht für die Öffentlichkeit wurde der enge Zusammenhang von Skulptur und Musik in einer Werkstatt der UNESCO-Projektgruppe hörbar gemacht. Durch seine hohe Nachhallzeit hat der Raum eine beinahe sakrale Klangatmosphäre. Rasche Stücke verträgt er nicht. Aber unter getragener, weihevoller, andächtiger Musik blüht der Raumklang auf. „Es ist bewegend, wie Beethoven unter der Musik nicht mehr wie versteinert und abweisend über den Menschen thront, sondern lebendig wird, wie man miterleben kann, dass die Musik den tauben Komponisten durchströmt und die Brücke zu den Menschen schlägt“, meint Julia aus Cottbus. Notenspur-Initiator Werner Schneider, der diesen Gedanken schon seit mehr als zwei Jahren bewegt, ist begeistert von dem Experiment: „Es hat sich gelohnt, sich um das Museum der bildenden Künste als Station der Leipziger Notenspur zu bemühen. Jetzt wissen wir endlich, welche Musik der Beethoven-Raum braucht, um seine Klangatmosphäre entfalten zu können. Vielleicht kann dieses Erlebnis nach Eröffnung der Leipziger Notenspur auch den Leipzigern und ihren Gästen zugänglich gemacht werden.“
Gestärkt durch dieses Ereignis und eine charmant-lebendige Führung im Museum für Musikinstrumente durch die Direktorin Prof. Eszter Fontana wurden die Schritte für die Weiterarbeit festgelegt. Bis zum nächsten Treffen Anfang März werden beide Antragslinien ausgearbeitet. In beiden Fällen müssen neue Gedanken entwickelt werden. Aber dies macht den besonderen Reiz des Projektes aus. Juliane aus Cottbus ist zuversichtlich: „Neue Wege einzuschlagen liegt in der Tradition Leipzigs. Ich habe deshalb ein gutes Gefühl für die weitere Arbeit am UNESCO-Projekt.“